Erschienen in: Enorm – Magazin, 03/2015,weiter Beiträge im UniSpiegel und im Fluter
Mit Open-Source-Hardware beginnt eine neue Ära des Selbermachens: Häuser, Autos, alles scheint möglich. Aber verändert das unser Wirtschaften?
Als die erste Schockwelle die Stadt Christchurch erreicht, steht Danny Squires auf der Dachterrasse eines Bürogebäudes. Ein lautes Grollen, dann beginnt alles um ihn herum zu zittern. Der Ingenieur versucht noch drei Schritte zu gehen, dann breitet er die Arme aus:„Ich dachte, ich reite auf dem einstürzenden Gebäude nach unten.“ Das Gebäude übersteht die 25 Sekunden des ersten Bebens und auch das Nachbeben zwei Minuten darauf. Kurz darauf sitzt Danny Squires in seinem Wagen und rast nach Hause.
Das Christchurch-Erdbeben von 2011 war eines der verheerendsten in der Geschichte Neuseelands. 185 Menschen starben, das Stadtzentrum der zweitgrößten Stadt des Landes wurde zu weiten Teilen zerstört, mehr als 6000 Geschäfte mussten umziehen. Danny Squires hatte Glück, seine Familie blieb unverletzt, ihr Wohnhaus war in Ordnung. Aber seitdem sucht er nach Lösungen für den Ernstfall und für die unzähligen Brachgelände, die bis heute das Stadtzentrum von Christchurch bilden.
Mit seinen Kollegen arbeitet er am „WikiHouse“ – einem Fertig-Bausatz für ein Holzhaus, das Menschen ohne Vorerfahrung und ohne elektrische Geräte an einem einzigen Tag zusammensetzen können und das weitere Erdbeben sicher übersteht. Entwickelt haben sie es aus einer Open-Source-Bauanleitung aus dem Internet.
Open-Source war früher Do-it-yourself
Dieser Ansatz ist typisch für Open-Source-Pioniere: Sie erfinden nicht das Rad neu, aber sie kopieren und entschlüsseln es, dann passen sie es ihren Bedürfnissen an und stellen das Ergebnis für alle ins Internet.
Schon in den Fünfzigerjahren entstand die Do-it-yourself-Bewegung in England, die Öko-Bewegung in den Siebzigern experimentierte ebenfalls mit Eigenbau-Ansätzen. In jüngster Zeit gab es, ausgelöst durch die Verfügbarkeit von 3D-Druckern, einen regelrechten Boom der sogenannten „Maker“, die sich alles selbst herstellen wollen, von der Handyhülle bis zur Handprothese. Nun keimt die Hoffnung, dass man mit offenen Produkten in allen Lebensbereichen einen gerechteren und nachhaltigen Konsum entwickeln könnte.
Ausdruck für diese Hoffnung ist das erste Open-Source-Dorf, das im Sommer in der Nähe von Paris entstehen soll – eine temporäre Wohnanlage, in der alles Open Source sein soll, vom Essen über die Energieversorgung bis hin zum Internet. „POC21“ („Proof of Concept“) soll der Beweis sein, dass gemeinschaftliches, nachhaltiges Produzieren und ein moderner Lebensstandard zusammengehen. „Wir wollen eine vorzeigbare Alternative anbieten zu den verfahrenen Klimaschutz-Verhandlungen Ende des Jahres in Paris“, sagt Dominik Wind, „aber nicht mit Protest, sondern mit Prototypen.“ Wind arbeitet für die Nichtregierungsorganisation „Open State“ in Berlin, die das Camp mit organisiert und die sich zum Ziel gesetzt hat, offenen Produkten zum Durchbruch zu verhelfen.
Ein ganzes Dorf in Open Source
Was bei Open-Source-Software wie Wikipedia oder Linux längst ein Erfolgsmodell ist, wird seit ein paar Jahren als Open-Source-Hardware auch in der materiellen Welt versucht. Bekannt wurde das Phänomen vor allem durch den Kernphysiker Marcin Jacubowski, der 2011 ankündigte, mit seinen Mitstreitern einen „Bausatz für das globale Dorf“ entwickeln zu wollen, mit Anleitungen zum Bau von Backsteinpressen, Windrädern oder auch Traktoren. Seitdem werden Produkte an verschiedenen Orten der Welt entwickelt und die Schwarmintelligenz baut daran mit. Das heißt, Fortschritte und Fehler werden in einer Anleitung gesammelt, um so das Wissen frei verfügbar zu machen, das man zur Herstellung von Produkten benötigt. Gewissermaßen eine Wikipedia der Dinge mit einfachen Materialien und verständlichen Bauanleitungen.
Im französischen Vorzeige-Dorf der Zukunft wird es Wiki-Häuser geben und Windräder, vermutlich auch Gewächshäuser und Werkstätten mit 3D-Druckern. Als Inspiration sehen die Initiatoren nicht umsonst den „Whole Earth Catalog“, die Bibel jener „kalifornischen Ideologie“, die in den Siebzigerjahren in den USA Hippies und Technologie-Verehrer zusammenbrachte und aus der unter anderem Apple-Gründer Steve Jobs seine Ideen bezog. Nur wollen die Produzenten diesmal das „Grand Design“ mitdenken, also die gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen ihres Tuns.
Ein gutes Beispiel dafür ist das Windrad, das im Dorf stehen wird. Entwickelt wurde es, zumindest zum Teil, von „BÖE“, einer Gruppe von Ingenieursstudenten aus Kassel, die inzwischen Workshops zum Bau von Kleinstwindrädern anbietet. „Wie man selbst ein einfaches Windrad baut, darüber erfährt man im Studium nichts, weil es kommerziell nicht interessant genug ist“, sagt Christoph Schmidt, der bei BÖE mitarbeitet. Also wendete die Gruppe sich an den schottischen Windrad-Pionier Hugh Piggott und begann 2012 an dessen Open-Source-Bauanleitung mitzuarbeiten.
Großer Bedarf in Krisenländern
Den größten Bedarf für Open-Source-Lösungen gibt es im im Moment noch in Krisen- und Entwicklungsländern, wo die normale Versorgung mit Gütern schlecht funktioniert. Das Material für das Windrad sollte deshalb erschwinglich sein und leicht zu beschaffen. Der Stahl kommt vom Schrottplatz, das Radlager aus einem alten Auto. Mehr als ein Dutzend solcher Windräder hat BÖE, gemeinsam mit den späteren Nutzern, gebaut und die Open-Source-Bauanleitung dabei stets weiterentwickelt. Das Windrad wird inzwischen weltweit nachgebaut, von Kleinbauern in Argentinien genauso wie von Umweltschützern in Mosambik. Die Mitglieder von BÖE werden bald ihren ersten Workshop in Bolivien geben.
Aber nicht nur für Entwicklungsländer ist die Open-Source-Bewegung interessant, auch in den USA springen inzwischen große Unternehmen mit auf. So hat der US-Elektroautohersteller Tesla im vergangenen Jahr alle seine Patente der Öffentlichkeit übergeben, mit dem Ziel die Verbreitung von Elektroautos und Ladestationen zu fördern – und damit mittelfristig die eigenen Verkaufszahlen anzukurbeln. Kritiker befürchten bereits, dass Open-Source gar keine Alternative zum Kapitalismus sei, sondern dessen nächster großer Schub. Diese Gefahr sieht auch Dominik Wind von Open State. Der beschleunigte Wissensaustausch dürfe nicht zu beschleunigtem Konsum führen. Für das Camp in Frankreich würden deshalb auch nur solche Firmen eingeladen, die neben Open-Source-Produkten auch ein Umdenken in ihrem Wirtschaften erkennen ließen.
In Zukunft wird man sich auf eine Kombi-Ökonomie einstellen müssen, vermutet Lars Zimmermann. Er ist Künstler und arbeitet als Open-Source-Ökonom in Berlin. Seiner Ansicht nach ist Open Source besonders geeignet für Bereiche, in denen keine hohen Innovationskosten zu erwarten sind: „Wenn die Erfindungen schon relativ ausgereift sind und es einheitliche Standards für die Verbreitung braucht, dann ist der kollaborative Ansatz von Open-Source perfekt“, so Zimmermann. Für andere Bereiche seien Patente vermutlich noch immer die bessere Lösung.
Dass Open Source keine Goldgrube für Entwickler ist, zeigt auch ein weiteres Projekt, das im Dorf zu finden sein wird, das „P2P-Foodlab“ aus Paris. Es bietet Bauanleitungen und eine Plattform an, durch die sich Beete und Gewächshäuser digital steuern und miteinander vernetzen lassen. Viele verschiedene urbane Gärten könnten so gemeinsam Nahrungsmittel produzieren. Die Technologie dafür ist kostenfrei, Gewinne können die Hardware-Entwickler damit nicht erzielen. Wenn sie überhaupt etwas verdienen, dann über Umwege wie Workshops, Fertigbausätze oder Buchverkäufe.
Das Hauptproblem für Open-Source-Hardware ist aber bisher ein anderes: das geringe Interesse bei den Nutzern. Was sollen moderne Großstädter mit Traktoren und Windrädern anfangen? „Open-Source-Hardware hat ein Vermittlungsproblem“, findet auch Dominik Wind von Open State. Die Szene bestehe aus vielen erfolgreichen Tüftlern, die sich aber wenig um die Nachhaltigkeit ihrer Entwicklungen kümmerten. Deshalb will Open State in Zukunft Tüftler und Designer zusammenbringen, unter der Überschrift: „So sexy wie Apple, so offen wie Linux“. Am Ende des Camps soll ein Katalog der besten Open-Source-Ideen ins Netz gestellt werden. Vielleicht wird das der neue „Whole Earth Catalog“.
Und nun noch … Drei Tipps zum Selbstbauen:
Open-House
Häuser zum „Ausdrucken“ – aus einem Experiment bei einer Design-Ausstellung 2011 in Südkorea ist inzwischen ein weltweites Projekt geworden. Wer sich ein WikiHouse bauen will, lädt den Bauplan herunter, passt ihn an und lässt ihn von einer computergesteuerte Sägemaschine aus Schichtholzplatten zuschneiden. Dann zusammenstecken, die Zusatzausstattung installieren und fertig ist das Haus. Das Ganze für unter 20 000 Euro. Vor kurzem wurde in London das erste zweistöckige WikiHouse vorgestellt, das knapp 70 000 Euro kostet.
http://www.wikihouse.cc
„BÖE-Windrad“
Die Gruppe, die sich auf einem Wagenplatz in Kassel gefunden hat, bietet seit 2012 deutschlandweit Workshops für Windräder an. Für die Workshopleiter herrscht dabei das „Hände-auf-dem-Rücken-Prinzip“, das heißt, sie erklären gern, bauen müssen es aber die Teilnehmer (und lernen dabei gleich Schweißen, Löten oder Hobeln). Ein Windrad kann gleichzeitig etwa fünf Laptops mit Strom versorgen. Aus Workshops an Universitäten sind auch noch fertige Windräder übrig geblieben, die BÖE gern abgibt.
http://www.boee-kollektiv.org
„Plastik-Mühle“
Aus der ältesten Kommune Deutschlands in Niederkaufungen stammt diese äußerst praktische Erfindung: Eine Mühle, die Plastik-Objekte zu Granulat mahlen kann. Anschließend kann man damit 3D-Drucker befüllen und sich neue schöne Plastik-Gegenstände drucken.
http://www.filamaker.eu